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Ben - Vom
Notfall zum Lebensretter
"Der
Hund ist ein Autist." Nie werde ich diese Aussage einer Freundin
vergessen, die uns besuchte als der Border Collie Ben drei Tagen
bei uns lebte. Auf der Terrasse tranken wir Kaffee, Ben lag fünf
Meter vom Tisch entfernt und starrte seit einer Stunde die Stuhlbeine
an. Ansprechen oder anlocken änderte nichts an seinem Verhalten.
Er baute weder Blickkontakt auf, noch ließ er sich anfassen
oder näherte sich uns. Stand Tanja auf, dann wechselte das
Objekt seines Starrens, nun glotze er sich an ihren Schuhen fest.
Ging sie auf ihn zu, wich er blitzschnell zurück, schmiss
sich hin und starrte wieder. Mir gegenüber verhielt er sich
kaum anders.
Gut eine Woche
vor diesem Besuch, im Februar 2000, hatte ich auf Angela Seidels
Border Collie in Not - Homepage folgende Beschreibung von Ben
entdeckt:
"2-jähriger
Rüde: Dieser Hund ist herzkrank und soll daher auf
Anraten des Tierarztes ausschließlich im Freien leben.
Die jetzigen Besitzer haben zu solcher Haltung keine Möglichkeit.
Der Hund ist nach Aussage der Besitzer sehr freundlich und gut
erzogen. Ein langsames, aufbauendes Training ist möglich.
Der Hund sollte nicht mehr im Sport geführt werden."
Aufgrund dieser
Anzeige meldete ich mich bei Angela und bot an Ben aufzunehmen,
worauf sie mir die Telefonnummer der Besitzer gab. Mit ihnen war
schnell ein Termin für den nächsten Sonntag um 15 Uhr
vereinbart.
Bereits um halb elf vormittags standen sie mit Ben vor der Tür.
Als ich über das verfrühte Auftauchen staunte, entgegneten
sie mir, dass sie es so schnell wie möglich hinter sich bringen
wollten und wegen ihrer Kinder schleunigst zurück müssten.
Ben hingegen lag ungerührt von alldem im Wohnzimmer und hütete
Spielzeug. Die Unterhaltung mit seinen Noch-Besitzern war kurz:
Arztberichte gab es weder über die Diagnose noch über
Behandlungen. Bens Beschäftigung bestand aus Ball spielen
auf der Straße. Als sie gingen, schaute Ben ihnen keine
Sekunde hinterher.
Ben war eingezogen und wir hatten zwei Probleme: Wir wussten nichts
über seine Herzerkrankung und der Hund lag stundenlang da
und starrte Spielzeug an. Ich fing mit dem zweiten Problem an,
dem Irrtum erlegen, dass es leichter zu lösen sei. Ich räumte
das Spielzeug einfach weg. Das änderte leider gar nichts,
er fixierte nun Tischbeine. Draußen beim Spaziergang starrte
er ausschließlich Stöckchen an, nahm ich einen Stock
weg, fixierte er sofort den nächsten; drinnen schloss er
die Augen nur, wenn es dunkel war.
Zurück
zu Problem eins, seinem Herz: Am Montag fuhr ich mit ihm zum Tierarzt,
der folgendes feststellte: Ben war nur als Welpe grundimmunisiert
und hatte Herzgeräusche, die aber angeblich nicht von einem
Herzfehler herrührten. Genaueres könne dazu aber nur
ein Kardiologe sagen, worauf ich bei Dr. Tobias in Hannover einen
Termin vereinbarte. Er machte ein EKG und Farbultraschall in der
Ruhephase, anschließend musste ich mit Ben 30 Minuten durch
einen Park laufen und springen um die gleiche Untersuchung nach
Belastung zu wiederholen. Diagnose: Lungenarterieninsuffiziens.
Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber Dr. Tobias lieferte
die Erklärung gleich mit: Es sei nichts Ernstes, man müsse
den Hund durch vernünftiges Training richtig aufbauen und
natürlich müsse Ben nicht nur im Freien leben. Er gab
mir noch viele Tipps für Bens Aufbauprogramm und glücklich
verließ ich seine Praxis: Das erste Problem war gelöst.
Foto:
Swanie Simon
Das zweite
ließ sich leider nicht so schnell lösen. Es kostete
mich viel Zeit, Konsequenz und Geduld - viel Geduld. Im Haus leinte
ich ihn an und band mir die Leine um den Bauch, so dass er Kontakt
zu mir haben musste. Dazwischen bekam er Ruhephasen, er lernte
die Augen auch bei Helligkeit zu schließen und sich tagsüber
zu entspannen. Ich ging 10 mal am Tag mit ihm für einige
Minuten raus, scharf verbot ich das Stöckchen anstarren,
ließ er es, folgten Lob und Belohnung. Dann begann das Training
mit dem Fahrrad, auch hierbei lernte er immer mehr seine Umwelt
wahrzunehmen und nach einigen Monaten schafften wir eine halbstündige
Radtour ohne jegliche Ermahnung: er lief locker neben dem Rad
und ließ die Stöcke Stöcke sein.
Von Bens Ex-Besitzern
hatte ich nicht viel erfahren, aber ich wollte mehr über
Bens Geschichte wissen und recherchierte. Ich rief den Tierarzt
an, der Ben die erste Impfung gegeben hatte. Er erinnerte sich
auch an dieses Herzgeräusch und dass er der Familie empfahl
mit dem Tier einen Kardiologen aufzusuchen. Anscheinend hatten
Bens Ex-Halter das nie gemacht.
Ich bekam auch heraus, wer Ben gezüchtet hatte und rief dort
an. Die Dame war über die ganze bisherige Geschichte sehr
erschrocken und bot mir an, ihn bei voller Kostenübernahme
sofort zurückzunehmen. Nett, aber das ging nicht mehr. Mittlerweile
hatten wir uns schon alle in Ben verliebt und er gehörte
zu uns.
Jetzt ging
es darum für Ben eine passende Beschäftigung zu finden.
Wir probierten es mit Agility, bereits nach fünf Minuten
drehte Ben durch, sprang wie von der Tarantel gestochen über
die Stangen, war kaum ansprechbar und wirkte hysterisch. Wir gaben
noch nicht auf und besuchten das Training weitere zwei Mal. Es
änderte nichts - keine Ahnung wer gestresster war: Ben oder
ich? Das war nichts für uns.
Ich informierte mich über die Hunderettungsstaffel Hannover
des Deutschen Roten Kreuz (DRK) und meldete uns zum Zuschauen
an. Im Mai 2000 bekamen wir einen Termin und was soll ich sagen?
Das war es! Genau das!
Foto:
Björn Robbe
Ich verstand
mich sofort super mit den Leuten und auch Ben schien sich in dieser
Gemeinschaft sehr wohl zu fühlen. Er lernte rasend schnell,
Stöcke interessierte ihn im Training nie. Auch zeigte er
hier keine Spur von Hysterie wie beim Agility. Die Suche nach
der vermissten Person schien ihm bald über alles zu gehen.
Wirklich? Mir kamen Zweifel. Was würde passieren, wenn Ben
mitten im Einsatz einen Ball fände? Wäre der Ball ihm
dann nicht wichtiger als die Suche? Meine Sorge war, dass ein
Opfer nicht gefunden wird, weil meinem Ben ein Spielzeug irgendwo
in der Landschaft wichtiger ist.
Mir wurde immer mulmiger. Gut, dass ich tolle Trainer hatte. Noch
besser: Im Training konnten wir jede Situation testen.
Wir trainierten wie immer, drei Kollegen versteckten sich als
Opfer. Nur ein Detail war anders: Im gesamten Suchgebiet hatte
eine Staffelkollegin Bälle ausgelegt. Ich bereitete Ben für
die Suche vor. Beide wurden wir hibbelig: Er wollte suchen, ich
wurde nervös. Was würde er tun? Ben bekam das Kommando
"Such und .....", schon war er weg. Zum dazugehörigen
"Hilf" kam ich bei ihm nie. Vorbei an Ball eins und
Ball zwei, auch Ball drei und Ball vier ließ er links liegen.
Kurze Zeit später hörte ich sein Bellen: Anzeige. Ben
lag brav beim Opfer und verbellte es lauthals. Erleichterung,
aber schon kamen neue Zweifel. Konnte ich ihn auch zu Opfer zwei
und drei schicken? Mittlerweile musste er ja wissen, dass überall
Bälle lagen.
Die Antwort lieferte Ben schnell: Er suchte beide Opfer und hatte
keinen Blick für die Bälle. Ben arbeitete zuverlässig.
Sein Lohn für die Suche war immer ein Moosgummiball an der
Schnur. Den durfte er nach der Suche zum Auto tragen. Auch nach
diesem Training: Ben nahm seinen Ball und war nicht mehr gesehen.
Kein Rufen half
. Also suchten nun wir Menschen den Möchtegern-Rettungshund.
Wir fanden ihn: Mitten im Wald umringt von all den Bällen,
die im Gebiet gelegen hatten. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Ben hatte es wörtlich genommen und nach der erfolgreichen
letzten Suche alle Bälle eingesammelt. "Ben im Bällebad"
oder "Ben im Wahn"?
War ich jetzt beruhigt? Nicht wirklich, so ein Ball- und Stockjunkie
- ist das wirklich heilbar?
Foto:
Juliane
Meyer
Zwei Wochen
vor unserer ersten Prüfung fuhren wir in den Harz zu einer
Übung mit der Bergwacht. Was dort geschah veränderte
mein Vertrauen zu Ben und seiner Arbeit.
Wir wurden in Gruppen aufgeteilt und Gebieten zugeordnet. Nur
Ben und ich blieben über, aber es kam anders. Über Funk
erfuhren wir, dass noch ein Team gebraucht wurde. Schnell waren
Ben, zwei Männer von der Bergwacht und ich bereit und liefen
los. Das Suchgebiet war riesig - viel zu groß für einen
einzelnen Rettungshund. Ben war zu diesem Zeitpunkt noch ein Hund,
der nicht wirklich mit mir zusammen suchte, sondern seine Arbeit
machte, egal wo ich war. Heute lässt er mich teilhaben an
seiner Suche.
Ich schickte Ben los und er war innerhalb kurzer Zeit außer
Hör- und Sichtweite. Na toll, Ben war weg. Die Beiden von
der Bergwacht guckten mich fragend an, wo sei denn nun mein Hund.
Ich hatte keine Ahnung. Peinlich!
Wir stiefelten den riesigen Berg hoch. Nach gut 20 Minuten durchbrach
plötzlich ein Bellen die Stille. Wir hasteten weiter. Und
da war er: Ben. Auf einem Felsvorsprung, darunter lag der Mann,
der in diesem Training das Opfer spielte. Ich bekam Gänsehaut.
Denn Ben hatte eine riesige Fläche abgesucht, er hatte das
Opfer gefunden und nicht verlassen. Mit der Anzeige hatte er gewartet
bis ich in Hörweite war. Schlauer Ben. Doppelt schlauer Ben,
denn die Zeit des Wartens hatte er genutzt und seinem Opfer immer
wieder Stöcke gebracht, die der Mann ihm dann warf.
Für mich war der Beweis erbracht: Ben verlässt sein
Opfer nie und trotz größter Ablenkung - dem Stöckchen-Spiel
- vergisst er nicht mir mitzuteilen, wo das Opfer ist.
Ab nun vertraute ich meinem Ben zu 100 % und dieses Vertrauen
hat mich nie wieder verlassen.
Im Februar
2001 machte ich meine Sanitätsausbildung und startete mit
Ben im Mai 2001 unsere erste Rettungshundeprüfung, die ich
natürlich in den Sand setzte. Im Oktober 2001 bestanden wir
aber in der Fläche. Später kam noch die Ausbildung auf
dem Wasser und die Trümmerprüfung. Die Suche klappte
immer super, nur die Unterordnungsprüfung fiel mir schwer
mit Ben. Oft hörte ich in den folgenden Jahren von den Prüfern:
der Hund ist sehr gut, der Hundeführer kann noch hinzu lernen.
Was soll`s, wir hatten bestanden.
Foto:
Björn Robbe
Jetzt ist
Ben ein fertig ausgebildeter Rettungshund und fährt mit mir
zu allen Einsätzen in der Fläche und zur Wassersuche.
Mehrfach war er in der Zeitung, weil er die Leichen von Selbstmördern,
Unfalltote und einen ertrunkenen Angler fand - natürlich
immer gemeinsam mit einem weiteren Rettungshund. Die Angehörigen
sind den Hunden oft sehr dankbar, denn mit ihrer erfolgreichen
Arbeit beenden sie die qualvolle Ungewissheit, was einem verschollenen
Verwandten oder Freund passiert ist und ermöglichen eine
Abschied in Würde.
Bei einem
Einsatz fand Ben einen 68-jährigen, orientierungslosen Mann,
der seit 20 Stunden vermisst war. Polizei und Hubschrauber hatten
ihn nicht finden können. Der Mann war im Gestrüpp verfangen.
Dank Ben konnten wir den Mann aus dem Gebüsch befreien und
Santitätsmaßnahmen tätigen und verkündeten
über Funk: "Person lebend gefunden".
Ben hat in seiner ganzen Laufbahn noch nie ein Opfer verlassen,
weder im Training noch im Ernstfall.
Wenn wir in ein Trainingsgelände mit viel Wild kommen, fragen
die anderen, ob ich mit Ben zuerst starte, denn Ben interessiert
sich nicht für Reh oder Hase. Für Ben zählt nur
die Suche. Und die erledigte er schnell. Früher, als die
Gebiete noch 50 x 100 Meter groß waren, brauchte er 42 Sekunden.
Anderen Teams schlossen oft Wetten ab, wie schnell er es schaffen
würde.
Ben ist mein
Held, er hat mir viel beigebracht und es war nicht immer leicht.
Aber in den Rettungshundestaffeln des DRK Niedersachsen hat er
sich einen Namen gemacht. Nicht nur in Niedersachsen, im Saarland
hat er den Spitznamen "Der Rettungsheini"
Foto:
Martina Feuerstein
Ben ist noch
bis Mai 2008 in der Fläche geprüft, dann ist er zehn
Jahre alt und geht in Rente. Ich arbeite natürlich weiter
mit ihm, aber nicht mehr mit der Intensität eines Rettungshundes
im Einsatz. Ben ist kein normaler Hund. Mich würde es nicht
stören, wenn er nur als Familienhund bei uns leben würde,
aber ihn. Ohne seine Sucharbeit wird er rückfällig und
die Gefahr besteht, dass er sich wieder benimmt, wie anfangs bei
uns. Konditionell ist er noch fitt. Aber leider zeigten sich bei
Ben schon früh die Folgen des übermäßigen
Ballspiels auf Asphalt in seiner Jugend: Arthrose in beiden Karpalgelenken.
Einige Jahre später bemerkte ich auch Rückenprobleme
bei ihm: Diagnose Spondylose. Beides haben wir dank Nahrungsergänzungsmittel,
Hundephysiotherapie und Dorn-Therapie gut im Griff, nur selten
braucht er Schmerzmittel.
Und sein Verhalten
gegenüber Besuch? Trifft er heute Freunde, wie Tanja vom
Anfang dieses Artikels, dann rast er zu ihr, stuppst sie mit seinem
Kopf an, hat ein Lachen im Gesicht und genießt jede Streicheleinheit.
Aus dem Autisten wurde ein Hund, der nicht nur mit der Rute, sondern
mit dem ganzen Hinterteil vor Freude wedelt.
Michaela
Janke
Aufgeschrieben im Dezember 2007 von Tanja Buchner
©Tanja
Buchner
Dieser Artikel erschien 2008 im GH-Magazin
In
Gedenken an Ben
DRK Rettungshund a.D.
08.05.1998 - 01.06.2014
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